Als Motorlaufenlasserin juckt mich diese Ausgangsgeschichte so mächtig - sie rührt offensichtlich an eine ganz empfindliche Stelle -, dass ich meinen Unmut zum Anlass nehme, mit meinen bisherigen Kurserfahrungen zu schauen, wie ich mit dieser Situation umgehen könnte.
Also, ich stelle mir vor, jemand fordert mich auf, den Motor erst zu starten, wenn das Eis weg ist.
Erster Impuls: Riesenärger!!! Ich fühle mich extrem angegriffen. Eine Schimpfsalve braut sich in mir zusammen: Verurteilungen, Angriffe, fiese Seitenhiebe. Zweiter Impuls: Toben ist unsouverän, ich wähle lieber Arroganz, das ist spitzer, fieser. Soso, höre ich mich sagen. Sie sind also ein Experte. Es ist immer schön, mit jemandem zu plaudern, der diese Welt durchschaut hat. Ich danke für die Belehrungen. Und wären Sie jetzt bitte so freundlich, mir aus der Sonne zu gehen? Ha! Dem hab ich’s gegeben!
Beides fühlt sich aber gleichermassen schlecht an. Ich bin aufgebracht und stinkesauer und steigere mich immer weiter in meine Wut. Kein Friede weit und breit, das ist Krieg. Das will ich nicht. Erst jetzt fällt mir ein, darüber nachzudenken, wie ich da aussteigen kann.
GFK? Ich bin mit der „klassischen“ GFK ein bisschen vertraut, mit Eurem CC nicht. Da komme ich im Moment nicht weiter: Wir stellen beide fest, dass wir sauer sind, weil unsere Grenzen verletzt wurden. Unsere Bitten sind entgegengesetzt. Wenn sich ein Dialog entwickeln könnte, würden wir uns Argumente und Gegenargumente um die Ohren hauen - GFK-konform natürlich in höflichste Worte verpackt -, bis der weniger Sture von uns sagen würde, er wolle lieber glücklich sein als recht haben. Das ist nicht mehr offener Krieg, aber glücklich macht mich dieser Dialog auch nicht. Der Ärger bleibt.
Eure anderen Tools kenne ich (noch) nicht.
Könnte ich stattdessen Frieden wählen? Hm, da ist keine Spur von Geistesfriede. Okay. Ich stelle mir vor, dass Johannes aus dem Forum vor mir steht, ein älterer Bruder, ein heiliger Sohn Gottes, ein Lehrer. Ich werde sofort viel milder. Es ist mir sonnenklar, dass Johannes mir das nicht sagt, um mich totzuärgern, mich auf die Palme zu jagen. Es fällt mir nicht schwer zu sagen: Entschuldige, lieber Johannes, ich wollte dich nicht ärgern, ich wollte bloss nicht, dass mir die Hände abfrieren! Mag sein, dass das etwas gedankenlos war von mir. Ich stelle den Motor sofort ab, weil ich sehe, dass dir das wichtig ist.
Das fühlt sich deutlich besser an, aber etwas stimmt noch nicht: Mein Lächeln ist nicht ganz echt, aus einer leicht verkniffenen Mundecke huscht ein unhörbares „du Besserwisser du!“. Wie ich gelernt habe, gibt es keinen Unterschied zwischen einem Riesenärger und einer Missstimmung, jeder Ärger stört meinen Geistesfrieden gleichermassen. Ich bin immer noch auf der Verurteilungsschiene und also noch nicht fertig.
Hmm. Ich muss nachdenken. Johannes kann kein Besserwisser sein, da er ein älterer Bruder, ein heiliger Sohn Gottes und ein Lehrer ist. Ich kann mich nur selber angreifen, meine Gedanken haben die Welt erschaffen, die ich sehe. Ich sehe also meine Besserwisserei, die mir Johannes spiegelt? Ups! Kein netter Gedanke, da Besserwisserei keine Eigenschaft ist, die ich gern auf mich beziehe. Ja, hier liegt der Hund begraben: Ich nerve mich, weil mir eine eigene sehr unliebe Eigenschaft auf die Nase geknallt wird.
Also. Ich vergebe mir die Selbstverurteilung, die Besserwisserei, die Trennungsgedanken. Sie sind nicht ich. Sie sind wahnsinnig, eine Illusion. Ich bin ein heiliger Sohn Gottes. Ja, das fühlt sich jetzt gut an.
Nun versuche ich mir vorzustellen, dass irgendjemand, nicht Johannes, vor mir steht, und ich merke, dass es mir viel schwerer fällt, nicht wieder in Rage zu geraten. Obwohl ich ja weiss, dass dieser Jemand auch ein Bruder und ein heiliger Sohn Gottes ist. Dass dieser Jemand mich nicht angreifen will, mich nicht angreifen kann. Ich merke, das ist Kopfwissen, in meinem Herzen ist das noch nicht angekommen. Aha. Da will ich mal ein bisschen üben in nächster Zeit, ich werde mich gemütlich umschauen und versuchen, in jedem, der mir begegnet, einen heiligen Sohn Gottes zu sehen und ihm gleich wohlgesonnen zu begegnen wie Johannes.
Aber: Wenn Johannes nicht zuguckt, werde ich das nächste Mal trotzdem den Motor warmlaufen lassen, wenn ich mir sonst die Hände abfriere. Keine Ahnung, wie dieses Dilemma zu lösen ist! Für meinen Geistesfrieden ist das im Moment nicht wichtig. Darüber denke ich im nächsten Winter nach.
Liebe Grüsse,
Susi