Liebe Birgit,
ich brauchs anscheinend immer sehr konkret und bildhaft. Ich verwende daher seit einer Weile das Bild der Leinwand als Übungshintergrund. Nichts Neues, aber zwischen Theorie und Praxis können viele illusionäre Welten liegen.
Der/die/das "Andere" ist die Leinwand, auf die ich meine eigenen Bedürfnisse projiziere, sie für mich sichtbar mache.
Das hat den Vorteil, dass er/sie/es sofort als "Schuldige" ausfallen. Was kann die Leinwand für den Film?
Konkretes Material war unter anderem eine Person, die ich schrecklich gern habe, die mich aber mit ihrem unerbittlichen Vorwärtsdrang zu überfordern schien. In einem Gespräch, bei dem ich über Stunden praktisch nicht zu Wort kam, in dem ich mich bedrängt fühlte, hilflos, ratlos, machtlos, habe ich irgendwann eigentlich gar nicht mehr richtig zugehört, sondern nur noch den Gedanken umkrallt: das soll ich sein? Welche meiner Bedürfnisse werden mir hier gezeigt?
Zu meiner Überraschung waren sie alle da. Es kam keine Forderung zum Ausdruck, dich ich nicht selbst an mich und das Leben gestellt habe, immer und immer wieder. Wie beim Bruchrechnen ließ sich alles reduzieren auf meine "Grundbedürfnisse", genauer gesagt auf meine Grundängste. Diese Person, von der ich mich im ersten Moment angegriffen und im zweiten missverstanden fühlte, wandelte sich in meiner Sicht vom Angreifer zum Hilfesuchenden, schließlich zum Helfer, zum ehrlichsten "Spiegel", vor dem ich je gestanden habe. In der Nacht habe ich höchst aggressiv von ihr geträumt, für mich so schockierend, dass ich mehrfach aufgewacht bin. Seit dem Aufstehen und der gefühlten Leichtigkeit möchte ich behaupten, dass ich noch nie jemandem so dankbar war.
Schwierig höchstens, mich in jeder konkreten Konfrontation an dieses Spiel zu erinnern. Der maulende Kunde, das bin ich. Der grummelnde Chef, der zeigt mir was, was ich an mir nicht sehen will. Das nervige Gör, was sucht es mit all dem Generve, das ich auch so gern hätte? Für ein Millisekündchen die Trennung aufgeben. Wo es gelingt: wow! Mehr davon!
Was muss in mir an Ärger, Frust und Ängsten stecken, wenn sie mir ständig und überall begegnen.
Schön, dich mal wieder gelesen zu haben.
Hannes